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Atemübungen: Einfluss auf Nerven- & Immunsystem

Das Atmung den eigenen Bewusstseinszustand beeinflusst, machten sich schon viele Völker im Rahmen unterschiedlicher Meditationsanleitungen zu Nutze. Die Prozesse im Körper, die durch diese Praktiken angestoßen werden, konnten nur lange nicht erforscht und dargestellt werden, weil der medizinisch-technologische Fortschritt dazu noch nicht in der Lage war.

Kohärenzatmung-Atmung und langsames Atmen („slow-paced breathing“)

Langsames Atmen umfasst Techniken, die den Atemrhythmus verlangsamen auf weniger oder gleich 10 Atemzüge pro Minute. Bei der Kohärenzatmung wird nur sechsmal pro Minute ein- und wieder ausgeatmet, sodass jeder Atemzug insgesamt 10 Sekunden dauert.

Beide Atemtechniken haben einen Einfluss auf die Herzfrequenzvariabilität, abgekürzt HRV nach dem englischen Wort „heart rate variability“, die ein Marker dafür ist, unter welchen körperlichen und psychischen Belastungen ein Individuum steht. Dies liegt daran, dass das unwillkürliche (autonome) Nervensystem, den Herzschlag beeinflusst.

Welche langsamen Atemtechniken gibt es?

  • Prana-Yoga-Atmung: 2-5 Atemzüge/Minute
  • Zen-Atmung / Zen Tanden Atmung: 3-4 Atemzüge/Minute
  • Kohärenzatmung / HRV-Biofeedback-Atmung: 6 Atemzüge/Minute
  • Langsame, bewusste Atemtechniken / Tempo-Atmung („slow-paced-breathing“): bis zu 10 Atemzüge/Minute

Kohärenz-Atmung und langsame Atemtechniken beeinflussen das autonome Nervensystem

Die Herzratenvarianz lässt sich in drei verschiedene Frequenzgruppen einteilen: Einmal in die HF-Gruppe mit hoher Frequenz, die LF-Gruppe mit niedriger Frequenz und die VLF-Gruppe mit sehr niedriger Frequenz. Oftmals wird die Ausprägung der HF-Gruppe als Marker für die parasympathische Aktivität des Nervensystems gesehen. Generell ist die Auswertung und Funktion der unterschiedlichen Frequenzen aber noch nicht komplett geklärt.1

Der Parasympathikus wird vereinfacht als Ruhe- und Entspannungsnerv bezeichnet, da er für Prozesse wie eine reibungslose Verdauung und Regeneration wichtig ist. Langsame Atemtechniken scheinen das parasympathische Nervensystem anzuregen, was sich z.B. in einer höheren HRV niederschlägt.2

Der Vagus-Nerv ist der längste Hirnnerv und Teil des parasympathischen Nervensystems, weswegen im Zusammenhang von parasympathischer Aktivität häufig auch der Begriff des Vagustonus verwendet wird.

Besser wäre: To Do – Slow Breathing

Gefühlte Entspannung steigt durch langsame Atmung

Langsame Atemtechniken scheinen eine entspannende Wirkung zu haben und Erregungszustände zu reduzieren. So empfanden Probanden oftmals weniger Angst oder eine positive Energie und Entspannung nach den Atemübungen, wobei es auch Untersuchungen gab, die keine großen emotionalen Veränderungen zeigten.2

Ebenfalls helfen sie dem Körper mit Stress umzugehen.

Bestimmte Atemtechniken schützen vor Stress

So zeigte sich in einer kleinen Untersuchung, dass bei hervorgerufenem Stress durch eine verminderte Sauerstoffzufuhr die Teilnehmer, die angehalten wurden, langsam zu atmen, keine stressbedingten Veränderungen des Herzschlages aufwiesen.3

Ebenfalls kommt es durch langsames Atmen zu einer Erhöhung der Baroreflex-Sensitivität, was sich positiv auf den Körper auswirkt. Barorezeptoren befinden sich in den großen Schlagadern und „messen“ dort den Blutdruck. Diese Informationen werden an den Hirnstamm weitergegeben, der dann entsprechend über den Herzschlag und den Widerstand der Gefäße gegenregulieren kann. Je sensibler dieser reagieren, desto besser kann das Herz-Kreislauf-System austariert werden.4

Die Baroreflex-Sensitivität (BRS) ist beispielsweise vermindert bei Patienten mit Herzinsuffizienz und bei Erkrankungen des autonomen Nervensystems (Neuropathien). Des Weiteren kann sie aber auch bei der posttraumatischen Belastungsstörung und anderen Erkrankungen verändert sein.3,4

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Die Atmung beeinflusst eventuell sogar das Gehirn und unsere Gefühle

Unser Atemrhythmus wird durch den Atem-Schrittmacher im Hirnstamm gesteuert. In einem Experiment der Medizinischen Universität Stanford zeigten Forscher, dass bestimmte Nervenzellen (Neurone) im Atemzentrum für die Kommunikation zwischen Atemrhythmus und dem Befinden verantwortlich sind und Stressempfinden verändern können.

Die Mediziner Krasnow und Yackle veränderten die Mäuse genetisch so, dass sie nicht mehr seufzten. Zuerst enttäuscht, dass sich nicht mehr an der Atmung der Tiere veränderte, fiel ihnen auf, dass die Tiere deutlich weniger gestresst waren und sich anders verhielten. Die Mäuse reagierten deutlich entspannter auf fremde Umgebungen und schienen Stress gegenüber deutlich unempfindlicher zu sein. Somit zeigte sich eindrücklich, dass die Hirnstamm-Neurone nicht nur die Atmung beeinflussen, sondern auch das Verhalten und wahrscheinlich auch Emotionen.5

Atemübungen am Abend sorgen für erholsameren Schlaf

In einer Untersuchung mit 64 gesunden Probanden wurde der Einfluss von 30 Tagen jeweils 15 Minuten Atemübungen in Form von Kohärenzatmung versus 15 Minuten Social- Media-Konsum (Facebook, Whatsapp, Instagram usw.) auf die subjektive Schlafqualität und eine spezielle hohe-Frequenz-Herzratenvariabilität (CVA- cardiac vagal activity – den kardialen Vagustonus) verglichen.5

Es zeigte sich, dass nicht nur subjektiv die Kohärenzatmung praktizierenden Teilnehmer besser schliefen, sondern sich auch die über die Nacht gemessene parasympathische Aktivität, also der Vagustonus, erhöhte. Eine solche Tendenz war bis zum Morgen zu bemerken.

Die Frage, ob eine erhöhte CVA auch ein Indikator für eine bessere Schlafqualität ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Es gibt jedoch Hinweise, die zeigen, dass eine niedrige CVA eher bei Personen mit Schlafstörungen und CFS/ME-Erkrankten auftreten.5,6

Atemübungen beeinflussen das Immunsystem

In einer aus dem Jahr 2021 stammenden wissenschaftlichen Arbeit schlagen die Autorinnen und Autoren langsames Atmen als präventive Methode für Hochleistungssportler vor, die unter pandemiebedingtem Stress leiden.

Da langsames Atmen das Potenzial hat den Schlaf zu verbessern und ausreichend Schlaf sehr wichtig für ein funktionierendes Immunsystem ist, hat Atemtraining schon allein deswegen einen positiven Effekt auf die Immunabwehr, so die Hypothese der Forschungsarbeit.

Denn bei starkem Stress, bspw. durch Schlafentzug, kommt es zu einer Verschiebung der Immunantwort Richtung TH2. Eine TH2-Immunantwort bedeutet, dass das Immunstem unter anderem tendenziell dazu neigt, Allergien auszubilden bzw. generell allergisch zu reagieren.7

Eine verminderte TH1-Immunantwort bedeutet zudem, dass das Individuum sich schlechter gegen Infekte, die diese Art der Immunreaktion erfordern, wehren kann. Über die Zusammenhänge zwischen Nerven- und Immunsystem wird darüber hinaus besonders in dem Artikel zur Hypnotherapie bei Allergien eingegangen.

Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem
Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem

Weniger Atmen ist effizienter und verbessert die Sauerstoffversorgung

Langsameres Atmen hat zudem das Potenzial für eine verbesserte Ausdauer und Leistungsfähigkeit zu sorgen, da es die Atemeffizienz erhöht.8

Atemeffizienz bedeutet, dass mit weniger Atemzügen eine höhere Sauerstoffsättigung erreicht werden kann. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz zeigte sich, dass das Trainieren einer langsameren Atmung nicht nur subjektiv die Atemnot der erkrankten Personen verbesserte, sondern auch die Sauerstoffversorgung.9

Daran lässt sich sehr schön sehen, dass schnelles und heftiges Atmen tendenziell eher kontraproduktiv ist, auch wenn man vielleicht denken mag, je mehr Atemzüge desto besser für die Sauerstoffversorgung.

Schon die Atemtherapie nach Dr. Buteyko, die z.B. bei Patienten mit Atemwegserkrankungen wie Asthma bronchiale eingesetzt wird, macht sich die positiven Effekte langsamer Atmung zu Nutze.

Fazit

Langsames Atmen, wie z.B. Kohärenz-Atmung, ist eine einfach zu erlernende und günstige Technik, um das Nerven- und Immunsystem positiv zu beeinflussen. Ich rate sie daher fast all meinen Patientinnen und Patienten in der Praxis an, weil es so weitreichende positive Effekte im Körper auslösen kann.

Quellen

1. Heathers JAJ. Everything Hertz: methodological issues in short-term frequency-domain HRV. Frontiers in Physiology. 2014;5:177. doi:10.3389/fphys.2014.00177

2. Zaccaro A, Piarulli A, Laurino M, et al. How Breath-Control Can Change Your Life: A Systematic Review on Psycho-Physiological Correlates of Slow Breathing. Front Hum Neurosci. 2018;12:353. doi:10.3389/fnhum.2018.00353

3. Critchley HD, Nicotra A, Chiesa PA, et al. Slow breathing and hypoxic challenge: cardiorespiratory consequences and their central neural substrates. PLoS One. 2015;10(5):e0127082. doi:10.1371/journal.pone.0127082

4. Schulz A. Baroreflex-Sensitivität im Dorsch Lexikon der Psychologie. Published online 2019. Accessed November 1, 2021. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/baroreflex-sensitivitaet

5. Laborde S, Hosang T, Mosley E, Dosseville F. Influence of a 30-Day Slow-Paced Breathing Intervention Compared to Social Media Use on Subjective Sleep Quality and Cardiac Vagal Activity. J Clin Med. 2019;8(2):193. <